TEMMIS im Interview über ihre neue Single „Arterien“ und wie die Nacht vor dem Tag retten kann
Obwohl TEMMIS noch als Newcomer zählen, haben sie sich schon längst mit ihrem eigenen Sound zwischen Post-Punk, New Wave und Synthpop etabliert. Mit ihrer neuesten Single „Arterien“ zeigen sich nochmals deutlich, wie wenig sie inzwischen aus der Szene wegzudenken sind. „Arterien“ klingt nach Gen Z und alle den Gefühlen, die die Generation umhertreibt. Gefährlich gut treffen sie mit ihren Texten in die offenen Wunden derer, die dem Alltagstrott verfallen sind und geben denen Beistand, die vor dem Gefühl fliehen wollen.
Ihr habt euch vor ungefähr zwei Jahren bei dem #amplified Bandcontest beworben und dann auch ein paar Monate später gewonnen. Wie geht es euch, wenn ihr auf die letzten Jahre zurückblickt?
TEMMIS: Uns geht es gut. Wir spielen gerade einen aufregenden Festivalsommer. Also das macht schon Spaß. Insgesamt ist in den letzten zwei Jahre seit dem Contest sehr viel passiert. Man nimmt sich so selten die Zeit, das dann in große Zeiträume einzuordnen, sondern denkt irgendwie von Monat zu Monat. Ich weiß, ich habe jetzt keine Antwort drauf, wie man diese zwei Jahre zusammenfassen kann. Nach Hamburg gezogen, gefühlt tausend Shows gespielt und neue Musik gemacht.
Warum der Bandname „TEMMIS“?
TEMMIS: Wir hatten eine Liste auf unserem Handy geführt, sogar bevor es die Band so gab. Eine Liste mit coolen Bandnamen, die vielleicht irgendwann mal etwas werden könnten. Als es dann hart auf hart kam und Freunde von uns gefragt haben, ob wir einen Gig spielen wollen, haben wir reingeschaut und da war dieses „TEMMIS“, was eigentlich hätte „Tennis“ heißen sollen. Aber als wir das dann gesehen haben, haben wir uns dafür entschieden, kurz vorm Gig. Das „Tennis“ wär eine Anspielung an die ganzen Midwest Emo-Bands gewesen, die sich nach Sportarten benennen, aber bei uns war es dann „TEMMIS“.
Eure neue Single „Arterien“ ist raus. Für mich hat sich das nach Flucht aus einer tristen Alltagsrealität angehört. Nachts feiern, um den nächsten Tag bewältigen zu können. Die Worte „Hab die Nacht in den Aterien“, heißt so viel wie, die Nacht hält mich am Leben. Aus was zieht ihr denn so eure Energie und könnt ihr euch damit identifizieren?
TEMMIS: Es geht um den Gegensatz von Tag und Nacht und um dieses Feiern logischerweise. Es ist irgendwie unser Job als Band abends Party oder auf der Bühne Party zu machen und Leute eine gute Zeit haben zu lassen. Und gleichzeitig will man halt auch als junger Mensch irgendwie Spaß haben. Nachts. Nach der Pandemie ist alles wieder aufgelebt und auf einmal muss man koexistieren. Das ist die Realität, die man halt tagsüber hat und die aus der Pandemie und aus uns hervorgegangen ist. Gleichzeitig fühlt man dann eben nachts was, was gar nichts mit der Realität zu tun hat, aber irgendwie genauso wichtig ist. Ich glaube, darum geht es. Das war auch in einer Zeit, in der ich viel nachts unterwegs war. Nachts bin ich immer sehr viel aktiver als tagsüber. Ich schreibe auch immer Lieder, nachts und so was. Ich glaube, da kommt es her. Tagsüber gibt uns Energie, aber wenn ich nachts wach bin, gibt mir das ein Gefühl. Alle anderen schlafen. Das heißt, niemand erwartet irgendwas von mir. Da bin ich frei, um alles das zu tun, was ich machen will, weil sonst niemand was macht. Tagsüber ist immer alles so getaktet, was Termine und Erledigungen angeht. Nachts ist das alles nicht da. Das heißt, egal ob man irgendwo oder irgendwie ist. Nachts ist die Realität, die man sonst hat, immer weg. Ein bisschen Schlaflosigkeit ist schon immer so ein Motiv gewesen in Texten. Und Schlafmangel. Also ich finde persönlich, das klingt auch so ein bisschen nach Schlafmangel und diesem, wenn man so übermüdet, aber aufgedreht ist.
Es klingt für mich so, als dass der Tag einem tendenziell Energie raub. So ist man diesem ausgeliefert und gleichzeitig reicht die Nacht nicht aus, um die Batterie aufzuladen. Ihr scheint damit auch den Nerv der Generation zu treffen.
TEMMIS: Ich habe oft keinen Bock auf den Tag. Wenn ich schlafen gehen würde, dann würde es ja heißen, dass meine Augen zu gehen und dann fängt der nächste Tag wieder an. Da hab ich meistens noch keine Lust drauf. Ich will noch paar Sachen erleben oder wenigstens mal kurz so tun, wie wenn der nächste Tag nicht passiert. So passiert das dann manchmal, dass sich manche Nächte strecken, bis die Sonne aufgeht und man immer noch in der Illusion lebt, dass der nächste Tag nicht passieren wird oder dass man noch ein bisschen Zeit hat. Energie weiß ich nicht. Also ich finde nicht, dass der Tag einem Energie raubt, aber ich finde, dass die Nacht einem Energie gibt.
Also habt ihr nicht zwangsläufig das Gefühl, dass ihr manchmal auch dieser tristen Realität fliehen müsst?
TEMMIS: Ja, auf jeden Fall. Ich glaube auch, so ein bisschen hat jeder Mensch, so das Bedürfnis, aus der Realität zu fliehen. Ich glaube eigentlich, dass die meisten Menschen einen ziemlichen Mechanismus haben, aufs Klo zu gehen und dann kurz mal auf Social Media zu sein. Das ist auch schon Realitätsflucht und unsere ganze Umgebung ist so aufgebaut, dass man zu jedem Zeitpunkt irgendwie kurz eingenommen wird von Werbung oder von Content. Unglaublich viel Content um uns herum, sodass man eigentlich viel weniger Zeit in der Realität verbringt, als wenn das alles nicht wäre. Eskapismus ist immer so ein bisschen allgegenwärtig. Beim Feiern ist es ein bisschen offensichtlicher, deswegen habe ich ja diesen Song geschrieben, weil es da so offensichtlich war. Ich will jetzt auch keinen Weltschmerz anklingen lassen oder so was. Dafür bin ich viel zu alt. Das ist ja kein politischer Song wie „die Welt ist scheiße und Kriege und Umwelt und so was“. Darum geht es ja nicht. Es geht eher um das Gefühl danach, das man loswerden will. Deswegen flüchtet man sich einfach. Gestern hat irgendjemand unter unserem Video kommentiert: Ein Paradebeispiel dafür, wie kaputt diese Generation ist. Anstatt sich für das Land in schweren Zeiten einzusetzen, macht man Party und wechselt das Geschlecht schneller als die Unterhosen. — Das war der Kommentar und irgendwie ganz geil, dass sich diese Person darüber aufgeregt hat, weil sie zumindest verstanden hat, worum es geht. Wie man das dann moralisch bewertet, ist eine andere Sache.
Eure Songs können recht melancholisch und düster sein. Sind es auch Situationen mit ähnlichen Stimmungsbildern, die euch dann zum Schreiben inspirieren oder schreibt ihr eher aus einer Glückseligkeit heraus? Was sind dies Ausgangssituationen im Vergleich zum fertigen Song?
TEMMIS: Ich habe früher mit Hand geschrieben und habe ein paar Notizbücher zu Hause über die Jahre hinweg gesammelt. Inzwischen mache ich das mehr am Handy und dann ist es meistens so, dass ich in einer Situation kurz zwei Zeilen auf schreibe. Das mache ich täglich ein paar Mal. Dann merke ich meistens über drei Tage hinweg, obwohl ich gar nicht so denke, dass ich gerade einen kohärenten Text schreibe. Manchmal aber ist das dann so alleine und dann binde ich da so einen roten Faden rum. Manchmal auch erst, wenn die Musik steht. Ich glaube, ein bisschen ist das der Songwriting-Prozess zumindest für mich so um sich selbst zu verstehen oder um zu verstehen, was da so im Kopf abgeht. Richtig oft kann ich das dann nicht festmachen an einer gewissen Situation, aber es offenbart sich mir persönlich sogar, was ich manchmal nicht wirklich denke, sondern was einfach nur emotional da ist. Und dann irgendwann. Also wenn du wüsstest, worüber ein Song geht, dann müsstest du ja nicht mehr schreiben. Du schreibst halt diesen Song, veräußerlichst halt irgendwas, was vorher nicht in Worten da war und deswegen ist es so ein sehr langwieriger Prozess für mich, der parallel zu meinem Leben stattfindet. Und dann dieser Song, den habe ich jetzt nur einen Tag geschrieben, einen anderen Song, aber der hat dann doch irgendwie so ein paar Monate reflektiert.
Und Düsterkeit ist insofern halt so ein Motiv darin, weil einen eher die Sachen beschäftigen, die einem das Leben schwer machen als die schönen Sachen. Also ich habe schon auch mal irgendwie einen Song über meinen Kaffee am Morgen geschrieben oder so was, aber das ist im Zweifelsfall nicht so ein interessanter Song.
Würdet ihr sagen, dass eure Texte autobiografisch sind? Man kann sich ja alternativ auch davon distanzieren und sagen, ich erzähle die Geschichte einer anderen Person.
TEMMIS: Ja, genau das. Das zweite, das trifft es, glaube ich, ein bisschen besser, weil es ist auf jeden Fall so, dass wenn du irgendwas machst, egal was für Kunst du machst, ist das Fundament davor deine emotionale Innenwelt. Davon kannst du dich nicht lösen. Du kannst nicht die Emotionen ausdrücken, die du selber nicht gefühlt hast, glaube ich, und das spiegelt sich ja dann wieder, also nicht jede Zeile, die in den Songs vorkommt, ist mir tatsächlich passiert. Das ist auch einfach oft assoziativ, aber das ist auch egal. Ich würde deswegen nicht sagen, dass es autobiografisch ist. Autobiografisch klingt ein bisschen eher so, als ob ich so aus meinem Leben erzählen würde, was genau passiert ist und manchmal stimmt das und manchmal stimmt das auch nicht. Der eigentlich dahinter liegende Punkt ist, dass zwischen den Zeilen so ein bisschen ich ist.
Gibts schon bald eine Tour und mehr Releases?
TEMMIS: Zwischen den Konzerten im Sommer versuchen wir auch Musik zu schreiben, neue und vielleicht auch an bestehender Musik, die zu finalisieren vielleicht, aber es gibt jetzt noch keinen konkreten Plan, welche Songs wann als nächstes rauskommen. Und Tour: Ja, aber mehr sagen wir dazu noch nicht.
Foto: Lenny Rothenberg
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