Haftbefehl holt mit D.W.A die Straße zurück in den Gangster-Rap
Das Warten hat ein Ende. Und um eins direkt vorwegzunehmen: Es hat sich gelohnt! Baba Haft ist zurück. Gewohnt brachiale Bässe treffen auf einzigartigen Flow, gekonnte Seitenhiebe und die Fortsetzung einer noch lange nicht auserzählten, fast schon melancholisch-schönen Lebensgeschichte.
Aber von vorne: Haftbefehl veröffentlich nach nun mehr sechs Jahren sein fünftes Studio-Album unter dem verheißungsvollen Titel „Das weisse Album“ (D.W.A). Zunächst fällt auf, was alles nicht neu ist. Veröffentlicht wurde das Album über das Label URBAN (Universal Music), wie auch schon sein Vorgänger „Russisch Roulette“ (2014). Exklusiv-Produzent ist Bazzazian, der schon seit vielen Jahren für den hervorstechenden Sound des Offenbachers zuständig ist. Nachdem das Album bereits mehrfach angekündigt wurde, musste es im April 2020 Corona-bedingt ein letztes Mal verschoben werden. Der Hype und Hunger der Fans wurde dadurch aber nicht gestoppt, man hatte fast das Gefühl, er wurde mit jeder Verschiebung nur noch größer. Ganz so hungrig ließ Baba Haft seine Fans aber nicht in der Corona-Krise ausharren, insgesamt sechs Tracks wurden bereits vor Veröffentlichung der Platte als Singles released.
In „Morgenstern“ degradiert der B.I.G aus OF-Mainhatten den „Gangster-Rap“ der vergangenen Jahre zu „Autotune-Gesülze“. Fragt sich, was all die „Instagram-Likes“ und „Milliarden Klicks auf YouTube“ bringen, wenn sich die ach so harte Gang am Ende doch als nichts anders als eine „Boygroup“ herausstellt.
MORGENSTERN (Musikvideo)
In „Bolon“ – zugleich erste Single und Intro des Albums – beweist Hafti Abi nicht nur, wie hart ein Piano wirken kann, sondern macht auch unmissverständlich klar, wofür das „weiß“ im Titel der Platte steht. Wovon er redet? Kilos Kokaino. Das zweite Release „RADW“ schließt direkt an die Thematik an und zeigt, wie gut klassischer auf-die-Fresse-Rap auch im Jahr 2020 noch klingen kann, wenn auch textlich mit einigen Zweck-Reimen nicht ganz so überzeugend.
Wer ist der (Trap)King immer noch? Auch auf Album Nummer fünf kommt die Leidenschaft des selbst ernannten „Trapking“ auf dem gleichnamigen Song mit Featuregast Ufo361, der diesen Titel wohl ebenso verdient, nicht zu kurz. Untertrieben wäre diese Bezeichnung für den ebenfalls auf der Platte vertretenden Gucci Mane. Gemeinsam mit dem amerikanischen Trap God hat Baba Haft den Song „Ice“ bereits auf dem Splash 2017 aufgenommen. Wer schmeißt mit Hunnis in der Gucci Boutique? Hafti Abi wer den sonst.
Die sich durch das Album durchziehende Thematik á la „Ihnen fehlt Style, sie klauen meinen“ ist auch in „Für immer reich“ wiederzufinden. Ergänzt um einen erneuten Verweis darauf, wie gravierend sich Aykut Anhans Leben seit Beginn seiner Musikkarriere verändert hat. Vom Gerichtsvollzieher in den Jaguar.
Wer noch einen Beweis dafür braucht, dass Hafti Abi wirklich alles darf, der wird beim Blick auf die Gäste der beiden Tracks „Conan x Xenia“ (ft. Shirin David) und „KMDF“ (ft. Shindy) fündig. Nachdem Shindy letztes Jahr einen Song mit Vocals von Shirin David ohne deren Zustimmung veröffentlichte, herrscht zwischen den beiden ein offener Streit. Vergleicht man die beiden Songs direkt miteinander, geht – zumindest für mich – Shirin David ganz klar als Siegerin hervor. Chabos wissen, wer ihre Mami ist.
KMDF – (Musikvideo)
Die als Interlude fungierende Skit-Reihe „1999“ des Vorgängeralbums „Russisch Roulette“ wird um die Parts 4 (AloAlo), 5 (Mainpark Baby) und 6 (Gabriel vs. Luzifer) ergänzt. Wunderschön und melancholisch setzt Haftbefehl die Beschreibung seiner Lebensgeschichte fort. Nachts am Block in Offenbach.
„Hotelzimmer“ sowie „Depression und Schmerz“, das als Feature mit seinem Bruder Capo aufgenommen wurde, zeigen erneut Einblicke in die dunklen Stellen des verletzten Engelsherzens. Unfassbar süß – ohne aber kitschig zu wirken – kommt das letzte Feature der Platte daher. In „Papa war ein Rolling Stone“ erzählen Marteria und Baba Haft ihren Söhnen von ihrem Leben vor deren Geburt.
Haftbefehl hat Straßenrap in die deutschen Feuilletons gebracht, den Mainpark in die Charts. Er wurde gehasst und geliebt dafür, dass er anders war als alles, was es gab. Was auffällt: Deutscher Rap hat sich in der halben Dekade, seit dem letzten Albumrelease des Offenbacher Rappers, stark verändert, er selbst hat es nicht. Wie D.W.A beweist, hat er es auch gar nicht nötig.
HipHop ist sein Rock’n’Roll, ist der Rock’n’Roll einer ganzen Generation, der Jugendliche aus dem Offenbacher Mainpark mit Arzt-Töchtern aus dem Hamburger Umland verbindet. Und Haftbefehl ist ihr Rockstar. Einer, der nicht erwartet wurde und schon lang nicht mehr irgendwelchen Erwartungen entsprechen muss. Ob Hafti Abi sein Versprechen, das Album werde eine weitere Klassiker-Platte, halten kann, wird erst die Zeit zeigen. Das Potenzial dazu hätte „Das weisse Album“ allerdings: Unfassbar starke Beats mit einer markanten Kombination aus Synthies und Trap, eine fast schon legendenhafte Lebensgeschichte und das, was eine Klassikerplatte am meisten auszeichnet: Sie ist anderes als der aktuelle Mainstream, der im Deutschrap-Kosmos des Modus Mio in den letzten Jahren veröffentlicht wurde. Der Hype bleibt auch nach der Veröffentlichung. Aber letztlich bleibt die Frage, kann man nach über zehn Jahren Relevanz überhaupt noch von Hype sprechen?!
Titelbild: „D.W.A.“-Albumcover