Seltene Dramaturgie in zwei Akten – Faber auf Addio Release Tour in Essen
Schon bei einigen vergangenen Releases hat Faber durch kreative Promomoves auf sich aufmerksam gemacht. Für sein aktuelles Album “Addio” gab er seinen Fans die Möglichkeit, schon vor dem offiziellen Release ein Vinyl-Konzertticket Bundle zu kaufen und in ausgewählten Clubs das Album vor kleinem Publikum „am Stück und Auge in Auge“ zu hören. Doch eine Not-OP zwang Faber, die Release Tour ins Frühjahr 2024 zu verschieben. Die Vinyls durften die Fans so trotzdem schon im Oktober in den Händen halten. Das offizielle Album-Release wurde vom Februar in den Juni verschoben.
Ein Abend in zwei Akten: Der erste Akt
Essen, 27. Februar – knapp fünf Jahre nach seinem letzten Solo-Studio-Album präsentiert der Schweizer Liedermacher Faber mit „Addio“ dreizehn neue Stücke, die er auf seiner Prerelease Tour in ausgewählten Locations mit seinen Fans teilt.
Die knapp 500 Besucher:innen in der Kaue der Zeche Carl warten im schummrigen Licht auf den Konzertbeginn, während sich auf der im Nebel verschwindenden Bühne ein kleines Orchester zusammenfindet. Doch wird der Abend nicht von der prägnanten Stimme des Liedermachers eröffnet, sondern mit choralem Gesang der Schweizer Liedermacherin Melanie Danuser. Sie singt die Ouverture von Addio und fesselt dabei das Publikum, noch bevor Faber selber überhaupt die Bühne betreten hat. Die acht Musiker:innen schaffen es nun binnen kürzester Zeit, alle in der Zeche Carl abzuholen. Und nehmen die Zuhörer:innen ganz ohne Vor- oder Hauptact direkt in einen musikalischen Abend mit, der genauso viele persönliche wie überraschende Momente verspricht.
Die Ouverture verklingt, das Licht wird heller und Faber betritt im schwarzen Hemd und Sakko mit Gitarre die Bühnenmitte.
„Addio“, übersetzt „Auf Wiedersehen“, bietet unter anderem einige Breakup-Songs, in denen sich das Lyrische-Ich mal in Liebeskummer suhlt, zutiefst verletzt droht oder vor Eifersucht tobt. Verpackt in deutschen und italienischen Texten, die Menschen mit liebeskummerschweren Herzen aus der Seele sprechen. „Ich konnte alles reinpacken, worauf ich Lust hatte und bisher scheint es zu funktionieren. Also nicht nur für mich, sondern auch für das Publikum“, erzählt Faber zwischen zwei Liedern zufrieden und dankbar für die Offenheit seiner Gäst:innen und deren positive Resonanz auch am dritten Tourstop in Essen. In seinen Ansagen ist von diesem Privileg der künstlerischen Freiheit oft die Rede. Authentisch und nahbar berichtet er von Erwartungen, die an ihn als Künstler gestellt werden und seinem Wunsch unabhängig dieser Zwänge seine Kunst ausüben zu können.
Im Gegensatz zu Fabers musikalischen Anfängen ist „Addio“ weniger Provokation – weniger Sex, Alkohol, Nikotin und Spielsucht. Dabei haben die neuen Stücke nicht an Faber-Essenz verloren und begeistern weiterhin durch große Emotionen, kleine Uneindeutigkeiten in seinen Texten und umso stärkere Instrumentalparts. Dabei scheint „Addio“ auch ein Resümée von Fabers bisherigem Schaffen zu sein. So finden sich auf dem Album, als auch im Konzert verschiedene Einflüsse Fabers wieder. Dazu zählen nicht nur Musiker wie der Schweizer Songwriter Dino Brandão, sondern auch musikalische Einflüsse, wie die langen Instrumentalparts, die die italienischen Wurzeln Fabers belegen. Ebenfalls finden Songs in Schwyzerdütsch Platz in der Setlist und natürlich gibt es auch Songs, die der in Schwarz gekleidete Faber alleine auf der Westerngitarre vorträgt. Beleuchtet von nur einem Scheinwerfer, mit einer Stimme, die alleine ganze Hallen füllen könnte.
Und nur wenige Momente später steht Faber wieder wie ein Dirigent vor seiner gesamten Band. Doch seine weit erhobenen Arme lenken nicht nur die acht Musiker:innen. Es scheint, als würden sie gemeinsam mit Techniker:innen und Publikum zu einer großen Einheit werden, dirigiert von einem Künstler, der genauso stark wie schwach, genauso laut wie leise und genauso wichtig wie unwichtig für diesen Abend ist. Denn in vielen Parts verlässt Faber die Bühne und überlässt den Raum denen, die für diesen Abend mindestens genauso essentiell sind: einer überwältigt tanzenden und singenden Menge, die die Energie, die auf der Bühne produziert wird, widerspiegelt und zahlreichen talentierten Musiker:innen, deren Stimmen und Instrumente Lieder in einer Einheit zeichnen, die für die Liveperformance geschrieben wurden.
Das Konzert fühlt sich an wie eine ineinandergreifende Bühnenperformance und lässt das Publikum mal zu ruhigen Sprechgesängen lauschen und dann zu vertrauten Posaunensolos pulsieren, während Faber von brennenden Autos, der Zerrissenheit der Liebenden und der Generation Youporn singt. Zwei Stunden verstreichen im Flug, bis zum ersten Mal die Rede vom Ende des Abends ist. Zu diesem kündigt Faber seinem Publikum ein für ihn sehr persönliches Lied – sein „schweizerdeutsch sizilianisches Requiem“ Pirdutu Cori (dt. gebrochenes Herz) – an, welches er mit seinem Vater, dem Musiker Pippo Pollina, geschrieben hat.
Der energische Chorgesang von Pirdutu Cori verklingt, die Musiker:innen verlassen unter Applaus die Bühne. Sie lassen sich jedoch nicht lang um ihre Zugabe bitten, nach der sie wieder die Bühne verlassen und das erneut zufrieden applaudierende Publikum im Dunkeln hinterlassen.
Tanzen, bis die Bahn kommt. Oder: Der zweite Akt
Die ersten kramen nach Garderobenmarken und exen den letzten Schluck Bier, als Faber im kurzen Hemd und mit Zigarette im Mundwinkel erneut die Bühne betritt und mit den Worten „an dieser Stelle ist unsere Dramaturgie am Ende. In 40 Minuten fährt die letzte Bahn, aber wenn ihr wollt, ist das ab jetzt euer Abend“ eine Art zweiten Akt des Abends verkündet. Während das Publikum noch merklich unsicher ist, ob der Mann auf der Bühne grade meint, was er sagt, beginnt Faber Songwünsche aus dem Publikum entgegenzunehmen und auf einer provisorischen Setlist zu vereinen. Und dann beginnt dieser zweite Akt, der – obwohl es die gleiche Band, das gleiche Publikum und die gleiche Location ist – sich doch deutlich vom ersten unterscheidet.
Alles ist plötzlich enthemmter, ausgelassener und spontaner. Sowohl Band, als auch Publikum erfinden sich in jedem Song neu und begeben sich gemeinsam auf eine Reise durch die Diskografie von Faber. Auf der Bühne werden Instrumente wild gewechselt, Songparts getauscht und genauso viel gelacht wie performt. Diese Stimmung scheint auch das Publikum mitzureißen. Zeit scheint keine Rolle mehr zu spielen. Es zählt nur noch der Moment, die Musik und die emotionale Nähe, die die überwältigende Stimme des schweizer Künstlers in die Hallen der historischen Zeche verewigt.
Nach knapp drei Stunden Bühnenpräsenz ist Fabers Release Konzert nicht das ursprünglich versprochene „Addio“-Album-Happening, sondern viel mehr: Ein Konzert mit einer seltenen Dramaturgie in zwei Akten, mit intimen Momenten, einzigartigen Musiker:innen, die ansteckend viel Freude an dem haben, was sie machen und mindestens 450 Konzertbesucher:innen, die vor Begeisterung noch lang in der hell erleuchteten Kaue standen und dann wohl doch die letzte Bahn des Abends verpasst haben.
Fabers neues Album „Addio“ erscheint offiziell am 07.06.2024. Bis dahin bleibt es denjenigen vorbehalten, die das Album-Bundle aus Vinyl und Ticket erstanden haben. Nach den zwölf Stopps der „Addio“-Release-Tour geht Faber von Juni bis September 2024 auf große „Addio“-Live-Tour und besucht auch vereinzelt Festivals und Open Airs. Tickets sind aktuell noch für viele Termine verfügbar.
Foto: Justus von Karger
Bericht: Maren Mußenbrock
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