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Dexter im Interview über „Yung Boomer“, Zeitgeist und seinen Apoplex

Kaum zu glauben, dass es erst Dexters zweites Solo-Album ist, ist der Stuttgarter doch gefühlt schon eine wahre Institution im Deutsch-Rap-Kosmos. Nicht nur, dass er an der Produktion von „Ein Teil“ von Cro, diversen Casper-Platin-Produktionen mitwirkte, ebenso verantwortete er zwei Fatoni Alben als Producer. Doch jetzt ist Dexy Vollzeit-Rapper. Der ursprüngliche Kinderarzt tauschte den Kittel gegen 808s und das Krankenhaus gegen das Studio. Niklas hat ihn zum Release seines neuen Albums „Yung Boomer“, welches am 27.11 erscheint getroffen und nachgefragt, wieviel Zeitlosigkeit im Zeitgeist davon steckt.

Niklas: Als ich den Titel des Albums gelesen habe, war ich zugegebenermaßen etwas erstaunt. „Boomer“ ist an sich ja eher ein Meme-Wort aus den letzten beiden Jahren. Wie findest du es mit dem Wort „Boomer“ assoziiert zu werden?

Dexter: Mir ist vollkommen klar, dass es eigentlich eine Beschimpfung von hängengebliebenen, alten Leuten darstellt. Ich bin aber auch etwas älter als der durchschnittliche Rap-Fan und auch Rap-Interpret – deshalb bin ich schon eine Art Boomer. Aber dadurch, dass ich eben nicht hängen geblieben und offen für Neues, Innovation und Zeitgeist bin, bin ich auch irgendwie jung geblieben. Das ist das „Yung“ in „Yung Boomer“. Ich habe halt ’n spießigen Normale-Lifestyle. Ich gehe nicht mehr auf jede Party und muss nicht alles mitnehmen. Mithilfe der Musik breche ich da aber manchmal aus. Deswegen habe ich schon versucht von vornherein etwas Angriffsfläche weggenommen, dadurch dass ich mich selbst so bezeichne. Wohlwissend, dass ich im echten Leben schon Probleme mit so „Boomern“ habe. Das bezieht sich aber nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf den Sound. Ich bin Fan von zeitgeistigen Sachen und habe versucht das genauso einfließen zu lassen wie Jazz-Akkorde und organischen Sound. Ich trage sowohl „Yung“ als auch „Boomer“ in mir.

Dexter – Luft (Musikvideo)

Niklas: Fatoni rappt auf dem Song „Freitag“ auf deinem Album, auf dem auch Yrrre zu hören ist: „Wäre gern erwachsen doch fühle mich berufsjugendlich.“ Wie siehst du dich in diesem Spannungsfeld. Es ist ja schon ein schwieriger Balanceakt nicht cringe zu wirken.

Dexter: Das Ding ist: Es ist sowieso nicht so einfach, seinen Platz in der Hiphop-Szene zu finden. Sich überhaupt dort zu behaupten und gehört zu werden ist schon ein Privileg ­– ich bin aber auch schon lange dabei. Ich finde es wichtig, dass man gut mit Rap altert, dass man selber merkt: „Was ist jetzt peinlich und was kannst du machen?“ Wenn ich mich jetzt ernsthaft hinstellen würde und über Drogenverkauf, Hustensaft oder Mode zu rappen, dann würde ich das schon peinlich finden, weil ich das nicht bin. Dann wird es cringe, wenn eigentlich genau aus dieser Phase rausgewachsen ist und trotzdem noch diese Musik macht.

Auf deinem Album schwingt auch immer Szene-Kritik mit. Was passt dir nicht?

Rap ist im Wandel, das muss man akzeptieren. Wenn man nicht peinlich enden will, dann muss man sich darauf einlassen. Das Geschimpfe der Old-School auf die neue Generation find ich so schlimm. Weißt du, in den USA haben alle Respekt vor den OG’s, da kollaborieren diese Rapper sogar mit der neuen Generation und ziehen sie mit hoch. Das würde ich mir für Deutschland auch mehr wünschen. Wie soll man von der Jugend erwarten, dass sie Respekt vor einer Legacy hat, wenn sie von oben immer nur auf den Deckel bekommt. Ich erwarte auch, dass man sich mehr mit den Musiker*innen beschäftigt und auch mit den Personen dahinter, die man bspw. auf Twitter manchmal besser kennenlernt als in der Musik. Sind die frauenfeindlich, sind die homophob, sind das Verschwörungsthoeretiker?
Ahzumjot hat auch mal getweetet, dass er in Deutschland diese Remix und Feature-Kultur vermisst. Da hat er mir echt aus der Seele gesprochen, weil ich das auch immer versuche in meiner Musik zu machen – Generationen und verschiedene Sounds zu verknüpfen, deshalb habe ich auf meinem Album genauso Bock auf einen Lugatti und einen 9ine wie auf einen Lakmann oder Döll. Es muss weniger gehatet und mehr zusammengearbeitet werden. Das ist auch ein Weg um unpeinlich mit Rap zu altern. Zum Glück kapier ich das noch alles – außer TikTok.

Dexter – Gold (Musikvideo)

Auf „Gold“ rappst du: „Dexy bist du der rappende Kinderarzt? Nein, ich bin der Shit!“ Hattest du das Gefühl, immer darauf reduziert worden zu sein, dass du eben kein Vollzeit-Rapper warst, sondern immer noch einen anderen Beruf hattest?

Ich wollte das Kinderarzt-Ding und das Rap-Ding immer trennen. Das ging dann irgendwann nicht mehr, weil dann hat der ein oder andere das mitbekommen und dann spricht sich das halt rum. Mir war das schon klar, dass das ein Thema ist – der Kontrast dieser unterschiedlichen Sachen. Mich hat das schon gestört, dass das immer der Aufhänger für viele Interviews war. Die Leute wollten nicht wegen der Musik über mich schreiben sondern, weil es alle interessant fanden, dass ich eben noch Kinderarzt bin. Eine Zeit lang hat mich das gestört. Deswegen auch dieses „nein, ich bin der Shit“ – ich bin wegen meiner Musik hier. Allerdings spielt es ja nur mit dem Ganzen, weil ich es an anderer Stelle dann doch wieder erwähne und etwas drauf rumreite, dass ich damit jetzt aufgehört habe und nur noch Musik und Holiday mache. Obwohl das natürlich übertrieben ist. Jetzt stört es mich nicht mehr so in den Interviews, aber sicherlich, weil ich das nunmal gerade pausiere. Es weiß sowieso jeder, wieso sollte ich da jetzt um den heißen Brei reden?

„Du hast eine Gang, ich hab eine Fam“ rappst du auch in „Nur noch was ich mag“. Du sprichst auf deinem Tape auch immer wieder deine Familie an. Wie bist zu dem Umgang oder dem Maß gekommen, wie du deine Familie in deiner Musik thematisierst?

Ich halte es ja noch relativ anonym. Ich sage bspw. nicht, wie viele Kinder ich habe und wie alt sie sind. Aber ich möchte auch zeigen, dass Familie etwas cooles ist. Es gibt immer wieder Momente, in denen man seiner Junggeselligkeit hinterherschaut und auf durchgemachte Tournächte zurückblickt – na klar. Aber wenn man annimmt, dass man auch nicht ewig jung bleibt, ist alles cool. Es ist schon toll, zuhause so einen Rückhalt zu haben. Wenn man das in seinen Raptexten anspricht ist das vielleicht nicht das coolste im ersten Moment, aber auf der anderen Seite können sich da so viele Menschen reinfühlen. Ich spreche mit meiner Musik auch gerade diese Leute an. Es ist so nah an diesen Leuten dran, die Ende der 90er Hiphop gefeiert haben, aber auch nicht so weit weg, dass jemand der 18 ist überhaupt nichts damit anfangen kann. Leute mit BHZ-Shirt sind auch auf meinen Konzerten. Es freut mich, dass man solche Sachen ansprechen kann und damit Jugendliche nicht gleich abschreckt, die lieber Gürteltaschen-Rap hören wollen. Ich bin nie mit krass viel Kalkül an die Sache rangegangen. Wenn mir danach ist, schreibe ich einen Text und wenn der nicht übercringe ist, haue ich den auch raus. Die Leute sollen zwischen den Zeilen aber schon merken, wo man verortet ist – vielleicht sogar politisch.

Dexter feat. LGoony – Nur noch was ich mag (Musikvideo)

Wenn du die Quintessenz von „Yung Boomer“ in drei Leitmotiven zusammenfassen müsstest, welche wären das?

Ich glaube, es geht sehr stark um das Erwachsenwerden und das Erwachsensein. Viele Tracks beschäftigen sich mit Sachen aus der Pubertät und den Ängsten, die man damals hatte. Die kann man heute teils gar nicht mehr nachvollziehen, weil ja doch alles ganz gut gelaufen ist. Das ist mir aber erst nach Fertigstellung aufgefallen, auch den Albumtitel gab es erst nach dem fertigen Tape.
Was noch eine Rolle spielt ist diese klassische Hiphop-Angebertum. Ich glaube, dass ich jemand bin, der sich in Raptexten hinter einer großen Klappe versteckt, die ich im echten Leben gar nicht habe. Aber Übertreibungen und Überspitzungen haben mir im Rap immer schon Spaß gemacht. Ein kleiner Battle-Aspekt ist auf jeden Fall drin. Wahrscheinlich fühlt sich am Ende aber niemand provoziert beim Durchhören des Albums.
Meiner Meinung nach ist es auch Wohlfühl-Musik. Ich mache Musik, wenn ich gut drauf bin. Deswegen ist die Musik auch so wie sie ist – meistens positiv. Ich sehe Musikmachen als Ausdruck meines Wohlbefindens. Deswegen holen mich irgendwelche L.A.-Videos mit Plamen und Cadillacs mehr ab – ich springe da voll drauf an.

Kommen wir nochmal zu dem letzten Song auf „Yung Boomer“ – „Apoplex“. Darauf thematisierst du einen Schlaganfall, der während eines DJ-Gigs von dir angefangen hat. Boomer haben ja auch die Eigenschaft immer einen Rat fürs Leben auf den Lippen zu haben. Im Zuge der Erlebnisse, die du auf diesem Song schilderst: Was wäre so ein Rat von dir? 

Das waren schon brenzlige zwei Wochen, in denen man natürlich viel nachdenkt. Ich habe es nicht so betrachtet, als das mein Lifestyle der Auslöser dafür war – es war wahrscheinlich eine angeborene Anomalie. Es war aber auch eine Zeit, wo ich zwischen Nachtschichten, Familie und Gigs hin und hergesprungen bin. Ich konnte mir nur nicht richtig eingestehen, dass das ungesund ist. Dieser permanente Stresszustand, der mir gar nicht so bewusst war, weil ich dachte, dass ich das alles ab kann. Das war schon der Auslöser dafür, dass ich mich mal nur auf die Musik konzentrieren und mehr Zeit für Familie haben wollte – da bin ich auch ganz froh drum. Es war so ein Reminder dafür, dass man glücklich sein kann, dass man überhaupt lebt und dass es einem gut geht und dass man selbst auch privilegiert ist. Aus Dankbarkeit dafür, dass ich das alles so unbeschadet überstanden habe, wollte ich das einmal von der Seele schreiben, auch wenn ich niemals gedacht hätte, dass dieser Song am Ende auf dem Album landet. Was man viel vergisst ist sicherlich, wie privilegiert man ist.

Foto: Robert Winter

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