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Drangsal im Interview: In einer komplexen Welt will ich der Kaugummi sein. Kurz. Intensiv. Zucker. Bunt.

Mit seinem Debüt „Harieschaim“ im Jahr 2016 hat Max Gruber der deutschen Musikszene einen Schlag ins Gesicht verpasst. Ein schillernder, aufbrausender und eindrucksvoller Kinnhaken, der deutlich gemacht hat: Drangsal ist da und hat einiges vor. Fünf Jahre später scheint das einstige Enfant terrible der Popmusik gereift zu sein und sich mehr auf das zu besinnen, was ihm selbst guttut. Was andere davon halten, ist ihm noch immer egal.

Heute erscheint Drangsals drittes Album „Exit Strategy“. Wir haben uns zum Interview im Berliner Zoo getroffen und über sein Album, die fortwährende Suche nach sich Selbst und die Flucht in Parallelwelten gesprochen.

Nina: Wir sitzen hier gerade mitten im Berliner Zoo. Kurz bevor wir uns hier getroffen haben, hattest du noch riesige Insekten in deinem Gesicht. Wenn du selbst ein Tier wärst, welches wäre es?

Drangsal: Ich sage aus gegebenem Anlass eine Fauchschabe. Die haben auch eine große Klappe, aber gar keine Abwehrmechanismen. Oder einer dieser kleinen, dicken Affen, die immer so traurig gucken. Die einfach nur friedlich essen wollen, aber gleichzeitig auch fies sein können.

Nina: Also auf jeden Fall ein Tier, das auch eine dunkle Seite hat? Das lässt Parallelen zu deinem neuen Album „Exit Strategy“ erkennen. In der Single „Urlaub von mir“ singst du unter anderem „Scheint als würde ich mich niemals an mich selber gewöhnen“, gleichzeitig spielst du auf dem Cover des Albums mit der Symbolik von dir als Teufel. Ist das Album ein Zu-Dir-Selbst-Finden oder eher eine Abzweigung auf dem Weg dahin?

Drangsal: Eher die Erkenntnis, dass ich immer noch auf der Suche bin. Ich dachte mit 18, dass sich die Suche nach dem „Wer bin ich“ mit Sicherheit in 10 Jahren geklärt hat. Jetzt merke ich, dass es nicht so ist. Und mir kommt die Zeit, in der ich so zufrieden mit mir selbst war, fast vor wie eine Lüge. Wie ein Traum.

Mädchen sind die schönsten Jungs (Musikvideo)

Nina: Hegst du Zweifel an dem, was du machst?

Drangsal: Ja, und das habe ich scheinbar auch die letzten 2,5 Jahre getan. Während des Schreibens ist man mit so vielen anderen Sachen beschäftigt. Ich bin ja nicht nur Texter, sondern spiele auch Drums, Bass, Gitarre und Synthesizer. Man konzentriert sich so lange auf kleine Einzelheiten bei den Songs. Und erst, wenn man es als großes Ganzes betrachtet, denkt man sich: „Oha…“.

Nina: Aber da gibt es doch sicher auch positive Gedanken, oder?

Drangsal: Weißt du, das ist komisch. Wenn man das erste Mal die zündende Idee für einen Song hat und das Demo hört: Das ist super aufregend. Dann nimmt man den Song nochmal auf und hört irgendwann die Studioversion und denkt sich: „Wow, hier ist nochmal was passiert und das klingt jetzt genau so, wie ich es mir vorgestellt habe.“ Und das Live-Spielen ist dann nochmal das letzte Aufbäumen sozusagen. Aber die Freude zum Beispiel an „Urlaub von mir“, die ist jetzt nicht mehr so krass. Es ist nicht mehr so aufregend.

Nina: Brauchst du manchmal Urlaub von dir?

Drangsal: Ich wünschte, das geht! Ich weiß aber nicht wie. Vielleicht ist bei mir das Verkleiden ein Mechanismus dazu. Das muss auch gar nicht zwangsläufig etwas mit mangelnder Zufriedenheit zu tun haben. Manchmal habe ich auch einfach keine Lust mein Gesicht überall zu sehen und immer mit mir selbst und dem, was ich früher gesagt habe, konfrontiert zu sein. Und damit, dass Leute eine Meinung über das, was ich mache, haben. Ich habe mittlerweile aber auch ein viel zwiegespalteneres Verhältnis dazu und zu meiner Person.

Nina: Bereust du manche Dinge, die du öffentlich gesagt hast?

Drangsal: Oh, ich bereue tierisch viel! Auch, wenn die Dinge, die ich in der Öffentlichkeit gesagt habe, nicht halb so schlimm sind, wie das, was andere hinter verschlossenen Türen sagen. Was – und das möchte ich besonders betonen – kein Freifahrtschein dafür ist, ein Arschloch zu sein. Aber, das ist es halt. Ich bin nicht klug genug gewesen, um es vorher zu wissen. Ich habe einfach das Gefühl, dass bei mir der Prozess des Erwachsenwerdens und Dinge erkennen länger gedauert hat, als bei den meisten anderen Leuten.

Nina: Vielleicht gehört das dazu. Wer hat schon das Gefühl, erwachsen zu sein?

Drangsal: Ja, das stimmt. Aber ich würde Dinge, die ich gesagt und gemacht habe, heute auf jeden Fall anders betrachten. Dazu gehörte viel ehrliche Reflexion, entschuldigen und damit klarkommen, dass man in dem Schuh, den man sich da selbst angezogen hat, auch zu Ende gehen muss. Das ist halt das Komische, wenn man an die Öffentlichkeit tritt und nachlesen kann, was man drei Jahre lang so gesagt hat. Und dann stellt man sich Fragen wie: „Bin ich das wirklich? Wer bin ich überhaupt? Bin ich der Charakter, den ich nach außen hin präsentiere? Und was ist, wenn das Bild, das ich selbst von mir habe, nicht deckungsgleich mit dem ist, das andere von mir haben?“.

Drangsal Exit Strategy Foto: Nina Martach

Nina: Hast du eine persönliche Exit Strategy, um aus diesen Gedanken rauszukommen?

Drangsal: Ich bin großer Fan vom Baden. Und ich liebe Wrestling aus den 90er Jahren und den frühen 2000ern. Das ist eine Art Flucht in das Kind-Sein und in eine Parallelwelt, die einfacher gestrickt und total überzogen, bunt und laut ist. Ähnlich, wie es bei einem Konzert und einem Outfit auch sein kann.

Nina: Brauchst du die Flucht in Parallelwelten, um in der gegenwärtigen Welt klarzukommen?

Drangsal: Ja! Für mich ist meine Musik, ähnlich wie Wrestling, eine innere Antithese zur Verkomplizierung der Welt. Alles wird immer schwieriger zu durchleuchten, immer komplexer. Wrestling ist eine Mischung aus Cirque du Soleil, GZSZ, UFC und einem Konzert. Fast wie ein wahrgewordener Cartoon. Für mich heißt das einfach: Hirn aus. Bei meiner Musik ist es das dasselbe: Wenn alles um mich herum immer komplexer wird, dann will ich nicht das 4 Sterne-Menü der Musik machen. Ich will der Kaugummi sein: Kurz. Intensiv. Zucker. Bunt.

Nina: Für dich selbst oder für alle, die deine Musik hören?

Drangsal: Beides. Klar macht man es erstmal nur für sich. Aber, wenn ich etwas gut finde, zeige ich das auch.

Nina: Spätestens, wenn es auf einem Album ist.

Drangsal: Man darf dann gar nicht daran denken, dass die Leute das erst in zwei oder drei Jahren zu hören bekommen. Aber die Zeit zeigt ja auch, ob es eben diese überdauert. Es gibt so viele Songs, bei denen ich mir nach zwei Monaten dachte: „Ach ne, vielleicht doch nicht die beste Idee“. Das kommt auch bei Songs vor, die man schon rausgebracht hat. Aber wenn die Leute die Musik gern hören, dann spiele ich die Songs auch. Live-Spielen ist ja eh was ganz anderes. Aber würde ich jetzt nochmal „Do The Dominance“ schreiben? Nein!

Nina: Warum nicht?

Drangsal: Es gibt einfach vieles, was ich heute musikalisch nicht mehr so interessant finde. Ich habe gestern mal wieder länger Musik gemacht und das war alles relativ New Wave-, Goth-, und Synthie-mäßig und da war ich auch so: „Ha, interessant!“

Nina: Also fast back to the roots. Mit „Harieschaim“ und „Zores“ trägst du einen Teil deiner Herkunft mit in deine Musik. Viele Leute sind froh, wenn sie ihrer Heimat den Rücken drehen können. Wieviel Heimat steckt noch in dir?

Drangsal: Bei den ersten beiden Platten – und gerade bei „Harieschaim“ – musste ich mich erstmal von der Heimat abnabeln. Jetzt habe ich das Gefühl, dass sich das Ganze musikalisch auserzählt hat. Der Titel „Exit Strategy“ ist auch ein Exit aus dem Bild, was ich davor mit den beiden Alben gemalt habe. Mir war es wichtig erstmal einen Bruch zu kreieren.

Drangsal – Exit Strategy (Musikvideo)

Nina: Wie hat dich deine Heimat Herxheim als Person und als Musiker geprägt?

Drangsal: Mir fällt immer wieder auf, dass der Umgangston sehr schroff und wenig einfühlsam ist. Da heißt es einfach „talk shit, get hit“. Als Künstler hat mich vor allem geprägt, dass ich in einem musikaffinen Haushalt aufgewachsen bin. Ich fand es aber auch immer ein cooles Gegensatzding meine Heimat in meiner Musik zum Thema zu machen. Im Vergleich zu anderen Musiker*innen, bei denen sich vieles in der Musik um Berlin oder andere Großstädte drehte. Ich kann nicht mit der großen Tristesse des Sich-In-Der-Stadt-Verlierens aufwarten, ich bin halt ein Dorfi, der sein erstes Glas Asbach Cola hinter einem Tabakschuppen getrunken hat. Ich fand das ein gutes künstlerisches Alleinstellungsmerkmal und wollte nicht so tun, als sei ich mondän, international und supercool, sondern eben einer vom Dorf. Und das stimmt ja auch.

Nina: Du kollaborierst auch mit anderen Künstler*innen. Und das, obwohl du selbst sagst, dass das Drangsal unter deinem eigenen Kontrollzwang steht. War es ein schwieriger Prozess das eigene Projekt ein Stück weit für andere zu öffnen oder eher die logische Konsequenz deiner Entwicklung als Musiker?

Drangsal: Dass die Tür immer weiter aufgeht, ist wichtig, damit man sich nicht verrennt. Und kollaborative Prozesse brauche ich, um aus meiner Komfortzone rauszukommen und die Musik aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Aber am Ende ist es mir sehr wichtig, dass Drangsal mein Projekt bleibt. Ich bin jemand, der gern glaubt, er hätte die Kontrolle und das ist einfach meine Art zu arbeiten.

Nina: Wie ändert sich das Musikmachen mit größer werdender Bekanntheit?

Drangsal: Man hat auf jeden Fall mehr Druck. Man fragt sich, wie es den Leuten gefällt und wie es live ankommt. Aber irgendwie ist es für mich auch schwierig das noch zu vergleichen, weil ich gar nicht mehr so richtig weiß, wie ich vor der ersten Platte so drauf war. Das Debüt ist halt das, worauf das Bild von dir aufgebaut wird. Und dann habe ich aus Versehen ein Album gemacht, aus dem ein Kritikerliebling wurde. Das ist Fluch und Segen gleichzeitig. Hätte ich das gleiche nochmal gemacht, hätten es die Leute kacke gefunden. Von „Zores“ waren dann viele schockiert, fanden es aber gleichzeitig auch mutig. Ich glaube, dass ich mich bei „Exit Strategy“ jetzt losgesagt habe von irgendwelchen äußerlichen Geschmacksgrenzen, die ich mir früher auch selbst auferlegt habe.

Nina: Wie kam es dazu?

Drangsal: Ich höre Musik nicht mehr unter dem Gesichtspunkt „Das darf man. Das darf man nicht.“ Solange Musik etwas in einem auslöst, ist sie wertig. Ich werde mir nicht verbieten, einen Stadion-Chor in einem Song zu haben, nur weil es irgendwelche Geschmackspolizisten gibt, die das scheiße finden.

Nina: Du hast dir den Druck mit der Zeit also selbst rausgenommen?

D: Ja, du kannst das Album als eine Art genre-sprengendes Zeugnis von überschwänglichem Mut betrachten oder du findest, es ist anbiedernde Schlagerkacke. Fein für mich. Was sich verändert hat, ist, dass es mir egal ist.

Fotos: Nina Martach

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