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Interviews

Warm Graves im Interview über das neue Album „Ease“, Musikkonsum & toxische Menschen

Warm Graves ist das Projekt des Musikers Jonas Wehner. Aus den verschiedensten Ecken der Welt stammend, fanden sich die drei Mitglieder der Band in Leipzig zusammen. Am 25. Februar ist ihr zweites Album „Ease“ erschienen. Wir haben mit Jonas über musikalische Einflüsse, seine Erfahrungen mit toxischen Menschen und darüber, warum er selbst keine Musik mehr konsumiert, gesprochen.

Nina: Zwischen dem aktuellen Album „Ease“ und eurem Debüt „Ships Will Come“ liegen acht Jahre. Aus welcher Grundstimmung sind die Alben entstanden?

Warm Graves: „Ships Will Come“ ist aus einer ziemlich einfachen Idee entstanden. Ich wollte eine Platte machen, die komplett auf Chorgesang aufgebaut ist. Chöre werden meistens benutzt, um etwas besonders theatralisch zu machen und überall noch einen drauf zu setzen. Ich wollte aber einen kompletten Narrativ auf den Chor legen, um eine Art Schicksalsgemeinschaft zu bauen. Und dann wollte ich tatsächlich einfach Hymnen schreiben. Bei „Ease“ kann man es sich vorstellen, wie wenn man Bleistiftskizzen in einen Block malt. Man braucht viele kleine Striche, bis sich ein ganzes Bild zusammensetzt. Die Platte ist im Vergleich zur ersten also viel feingliedriger. „Ships Will Come“ war dafür aber sehr emotional getragen.

Nina: Bei „Ease“ gehst du komplett weg von den Chören und hin zu deiner eigenen Stimme gegangen. Das Album scheint also auch deine persönliche Transformation darzustellen.

Warm Graves: Genau. Ich muss dazu sagen, dass ich eigentlich nie singen wollte. Wenn ich Stücke geschrieben habe, dann habe ich nach Leuten gesucht, die für mich singen. Jetzt musste ich in die Bresche springen und es selbst machen. Es hat lange gedauert, bis ich mich an meinen Gesang gewöhnt habe und meine eigene Stimme überhaupt leiden konnte.

Nina: Gab es einen ausschlaggebenden Punkt, an dem dir das bewusst geworden ist?

Warm Graves: Tatsächlich nicht. Das ist irgendwie schleichend passiert. Man merkt es aber auch auf dem aktuellen Album: Die Lieder, in denen ich höher singe, sind die älteren. Weil ich da noch in dieser Chorstimme steckte. Die Songs, in denen ich tiefer singe, sind alle neuer. Da habe ich gemerkt, dass ich halt einfach alles mit meiner Stimme machen kann.

Nina: Was dir ja auch sehr viele Türen öffnet, oder?

Warm Graves: Das hat mir alle Türen geöffnet. Das war auch der größte Prozess und der Grund, warum es mit dem zweiten Album so lange gedauert hat: Mir selbst eine Relevanz zuzusprechen. Und dafür dann auch ein eigenes Selbstverständnis aufzubauen. Seitdem ich das habe, habe ich mehr Output an Songs als in den ganzen zehn Jahren davor. Sobald man sich ohne Überheblichkeit mit sich und dem, was man macht, wohlfühlt, dann geht auf einmal alles.

Sun Escape (Musikvideo)

Nina: Die Stimmung, die seit knapp drei Jahren in der Welt herrscht, ist eine komplett andere als die, die wir gewohnt waren. Haben Pandemie und Lockdown etwas mit dir gemacht?

Warm Graves: Mit mir hat das ganz ehrlich gar nichts gemacht. Weil ich in dieser Stimmung, die durch Corona herrscht, schon die ganzen Jahre vorher war. Aber es gibt Songs wie „Sun Escape“, bei denen mir im Nachhinein ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen ist. Ich habe ihn 2019. Es geht um jemanden, der nicht mehr rausgehen kann und um eine Welt, in der das alltägliche Leben unmöglich ist. Einfach eine klassische Science Fiction. Der Song lag dann relativ lange in der Schublade. Als der Lockdown kam und die ganze im Song behandelte Stimmung wirklich Realität wurde, war das für mich schon merkwürdig. Aber ich hatte diese Stimmung eben schon vorher immer in mir, auch im Alltag, weil ich eigentlich das ganze Jahr davor schon im Studio abgetaucht war. Das hat sich eigentlich nicht geändert bis heute.

Nina: Auch, wenn das mit der wahrgewordenen Fiktion kompletter Zufall war – behandelst du in deinen Songs generell äußere Einflüsse, die dich bewegen oder schreibst du eher von innen heraus?

Warm Graves: Über aktuelle Themen schreibe ich eigentlich gar nicht. Auch nicht über aktuelle Gefühle. Das fühlt sich für mich total plakativ an.

Nina: Vielleicht auch einfach zu nah?

Warm Graves: Genau. Es sind immer Dinge, die einen berühren, die da mit einfließen und mit etwas Abstand tauchen sie wieder auf. Aber beim Songs schreiben habe ich meistens Szenen im Kopf. Das war schon beim ersten Album so.

Nina: Bei den Songs denkt man ja auch sehr schnell an die Musik irgendwelcher Science Fiction-Filme. Lässt du viel aus dem Filmbereich in deine Musik einfließen?

Warm Graves: Definitiv. Filmmusik zu komponieren, wäre mein Traumjob, weil dann die Szenen nicht mehr nur in meinem Kopf stattfinden. Und da ich Musik nicht nutze, um ein Ventil für mein Privatleben zu haben, bleibe ich beim Musik schreiben ohnehin immer szenisch.

Warm  Graves – Cara (Audio)

Nina: Im Song „Cara“ geht es um toxische Menschen. Wie gehst du mit ihnen um? Welche Erfahrungen hast du mit toxischen Menschen gemacht?

Warm Graves: Mit toxischen Menschen kommt man in Kontakt. Das ist unausweichlich. Ich habe den Kontakt zu diesen Menschen nie gescheut und in Kauf genommen, dass es schwierige Verhältnisse mit sich bringen kann. Der Begriff „toxisch“ wird mittlerweile für fast alles ganz inflationär genutzt und nicht jeder Mensch, der schwierig ist, ist toxisch. Deswegen muss man, glaube ich, auch ein paar Mal auf die heiße Herdplatte fassen, um zu gucken, wann man sich wirklich verbrennt und wo man vielleicht sogar von profitieren oder Menschen auch auf eine positive Weise beeinflussen kann. Mittlerweile lasse ich bei dem Thema das Frühwarn-System walten. Deswegen habe ich auch keine toxischen Menschen mehr in meinem Umfeld. Das war in der Vergangenheit auf jeden Fall anders.

Nina: Was hat dich dazu bewegt, genau über dieses Thema einen Song zu schreiben?

Warm Graves: Weil das in den letzten Jahren ein wiederkehrendes Ding war. Und umgekehrt habe ich auch Freund*innen, die nie so etwas in ihrem Leben hatten. Also, da gab es immer Material, um das in einem Song zu thematisieren.

Nina: Euch werden auch viele musikalische Einflüsse zugeschrieben. Bands wie Arcade Fire, Flaming Lips und The Soft Moon hört man häufig in Verbindung mit euch. Welche Bands beeinflussen dich am meisten?

Warm Graves: Damals bei der ersten Platte habe ich tatsächlich viel Flaming Lips gehört, davor auch viel Arcade Fire. Mittlerweile höre ich selbst kaum noch Musik. Eigentlich gar nicht.

Nina: Woran liegt das?

Warm Graves: Weil mich einfach alles beeinflusst. Bei der ersten Platte gab es zu viele fremde Einflüsse, Meinungen und Gedanken und es ist schwierig, die aus dem Kopf rauszukehren. Viele meiner Freunde sind Musiker*innen. Überall, wo ich mich hinbegebe, läuft Musik. Und wenn ich allein bin, dann will ich nur Musik machen.

Nightfall / Daylight (Visualiser)

Nina: Hast du das Gefühl, dass es sonst eine Art Overload an musikalischen Einflüssen ist?

Warm Graves: Auf jeden Fall. Ich höre mir gerne Musik an, wenn ich ausgehe. Aber privat gar nicht mehr. Und das ist der Unterschied zur ersten Platte. Damals war ich noch richtig krasser Musikkonsument und habe alles, was ging, aufgesagt. Mittlerweile mag ich es eher, wenn ich nur eine vage Ahnung von irgendwas habe, damit mich das gar nicht so sehr beeinflussen kann. Und solange das so ist, besteht auch das Risiko nicht, etwas nachzuahmen.

Nina: Also hast du im Grunde genommen zu große Angst davor, dass du zu viel übernehmen könntest, was nicht deins ist?

Warm Graves: Übernehmen ist eine Sache. Aber am Ende lässt mir zu hoher Musikkonsum keine Nische mehr, weil es alles schon gibt. Ich stülpe mir ungern irgendeinen Stil über und muss mich dann nicht fragen: Was kann ich machen, damit meine Musik nicht direkt an etwas anderes erinnert?

Nina: Wo siehst du dich selbst musikalisch?

Warm Graves: Es gibt keine bestimmte Einordnung. Für mich ist Musik an nichts richtig festzumachen. Nicht an Nationalität, an Geschlecht, noch an Alter oder sonst was.

Nina: Was möchtest du Menschen mit deiner Musik mitteilen?

Warm Graves: Das klingt vielleicht ein bisschen pathetisch, aber mich hat Musik oft gerettet und in verzweifelten Situationen aufgefangen. Ich hoffe, ich kann Menschen mit meiner Musik das gleiche bieten. Ich ziele auch gar nicht darauf ab, dass meine Musik eine breite Masse erreicht. Es geht mir vielmehr darum, einzelnen Personen, die vielleicht mit ihrer Umwelt auch ein bisschen fremdeln, wie ich früher, Rückhalt und das Gefühl zu geben, nicht allein zu sein.

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