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Juse Ju veröffentlicht Millennium: Grown-Man-Rap mit Herz und Faust und Ironie

„Nicht registriert für das Turnier, die Welt erwartet nichts“ so startet Juse Ju in „Kranich Kick“ dem Intro seiner neuen Platte „Millennium“. Glaubt man seinen Fans in ihren Youtube-Kommentaren, stimmt das schon lange nicht mehr. Nachdem ihm mit „Shibuya Crossing“ 2018 der Durchbruch gelang, bekommen wir jetzt das fünftes Soloalbum des Wahl-Berliners zu hören. Soundtechnisch rund gemacht wurde „Millennium“ von C.O.W. 牛, einem Producing Team, das u.a. bereits mit der Antilopen Gang zusammengearbeitet hat.

Auf 10 Songs gewährt uns Juse Ju neue Einblicke in seine ungewöhnliche Biographie. Der Ex-RTL-Redakteur erzählt Geschichten über nur schwer zu begreifende Liebe (Claras Verhältnis) und die Herausforderungen des Alltags als Zivi in einer psychiatrischen Abteilung (TNT). Große Teile seiner Kindheit verbrachte der selbsternannte „Provinz-Jokel“ in Japan. Ein Land, das auf der aktuellen Platte erneut als Spielstätte seiner Coming-of-Age Dramen dient. Es geht um die besten Freunde und eine gemeinsame Jugend, der man dann doch schneller „Sayonara“ sagen muss als es einem lieb ist (Sayonara). Um seinen außergewöhnlichen Lebenslauf und einem ganz besonderen Job (Model in Tokio). In der traurigsten Story des Albums erzählt Juse Ju von einem Helden seiner Kindheit und dessen einzigartigen Lebensweg (Unter der Sonne). Das titelgebende Stück „Millennium“ lässt Nostalgiegefühle aufkommen und ist der perfekte Übergang vom persönlichen Teil zum Auf-Die-Fresse-Rap.

Juse Ju – Claras Verhältnis (Musikvideo)

Mit den Feauturegästen Panik Panzer und Bonzi Stolle entsteht eine neue Hymne für Fridays-for-Future (Ich hasse Autos). Mit Waving the Guns-Rapper Milli Dance werden ach-so-postpolitische-Typen auseinandergenommen (Edgelord). Und mit dem ebenfalls lange Zeit unterschätzten „Mädness“ werden die eigenen Disko- und Biographien reflektiert und mit aktuellen politischen Themen verknüpft (MTVs Most Wanted). Abgerundet wird diese Kollektion aus Herz und Faust und Ironie von einem Soundteppich jenseits von Autotune und Boom Bap mit gut gewählten Samples.

Juse Ju – Kranich Kick (Musikvideo)

Was Kummer 2019 mit „Kiox“ gezeigt hat, unterstreicht Juse Ju 2020 mit „Millennium“: Autobiographische Konzeptalben gespickt mit Battle-Rap sind ein echtes Erfolgsrezept. Vor allem in der alternativen Deutschrap-Szene jenseits von Rolex und Fußballernamen. Der Exil-Schwabe beweist, man muss nicht der „coolste Typ unter der Sonne“ sein, um etwas zu erreichen. Ein gelebtes Leben mit all seinen Höhen und Tiefen erscheint nach „Millennium“ als die viel attraktivere Version. Juse Ju macht Grown-Man-Rap. Seine Erwachsenheit, eine willkommene Abwechslung zu den schlecht alternden Rap-Helden des Millenniums, die mit Ende 30 noch immer Kamerateams vor Gucci-Boutiquen verprügeln. Für dieses Turnier ist Juse Ju vielleicht auch schon deshalb nicht registriert, weil überqualifiziert.

Foto: Cover „Millennium“

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