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Interviews

Juse Ju im Interview über toxische Männlichkeit, Battle-Rap und Japan

Der Indie-Rapper Juse Ju aus Kirchheim unter Teck veröffentlichte sein fünftes Studioalbum. In seinem „Millennium“ behandelt er eine große Themenvielfalt, die von toxischen Beziehung bis zum blanken Hass auf Autos reicht. Seine Vergangenheit prägt ihn bis heute. Im Interview verrät Juse Ju, wie er mit der Vergangenheit umgeht und wie die Battle-Rap Sozialisation sein Schreiben bis heute beeinflusst.

„Millennium“ ist der Titel deines Albums, welches am 19.06 erscheint. Wenn du mal an dein vergangenes Millennium zurückdenkst, wodurch wurde es geprägt?

Juse Ju: Das Millennium war für mich eine Zeit des Umbruchs und des Erwachsenwerdens. Heutzutage wird man nicht mehr als Teenager erwachsen, sondern so in den Zwanzigern. Die erste wirkliche Liebesbeziehung, das erste Mal richtig Musik machen, das erste Mal die Miete selber reinbringen. Ich habe das Gefühl, dass was man früher in seiner Teenager Zeit hatte, hat sich jetzt nach hinten verschoben. Wenn „Shibuya Crossing“ (Anm. d. Red. Das 2018 erschienen Album von Juse Ju) meine „Coming of Age“-Geschichte war, dann ist „Millennium“ die „Becoming Adult“-Story.

Ich hasse Autos (feat. Panik Panzer & Bonzi Stolle)

Bleiben wir mal bei deinem Vor-Vorgänger Album „Shibuya Crossing“. Wenn man sich die beiden Cover von 2018 und von dem Album heute anschaut wirkt das sehr referentiell…

Juse Ju: Christian Wischnewski und ich arbeiten schon seit sechs Jahren zusammen. Nachdem er das Cover zu „Übertreib nicht deine Rolle“ gestaltet hat, hat er eigentlich jedes Artwork für mich gemacht. Wenn ich ein Albumcover brauche ist es nicht so, dass ich mich bei Wischnek (Anm. d. Red. Künstlername von Christian Wischnewski) melde und sage: „Jo, ich brauche mal ein Cover“, sondern wir setzen uns schon mehrfach zusammen, um zu brainstormen. Was wir schon immer gemacht haben war, dass das Cover in irgendeiner Weise den Inhalt vom Album spiegeln soll. Auf „Shibuya Crossing“ hat man viele Szenen aus meinen autobiographischen Songs gesehen. Ich finde auch, dass „Millennium“ sowas wie die Fortsetzung von „Shibuya Crossing“ ist.

Japan ist auch generell eine große Referenz in deinem künstlerischen Schaffen. Wenn du deine Kunst auf drei Leitmotive runterbrechen müsstest, welche wären das?

Juse Ju: Zum Einen ist das natürlich Japan. Das Feuerwerk auf dem Albumcover ist sogar inspiriert von alten japanischen Holzschnitten. Das gesamte Album ist in seiner Machart inspiriert von diesem Land. Ich bin dort in sehr entscheidenden Jahren meines Lebens aufgewachsen – zwischen sechs und elf. Das lässt einen einfach nicht mehr los. Das war genau die Zeit in der man ein soziales Wesen wird, das elterliche Nest verlässt und in die Schule geht. Ich habe die Welt in Japan und nicht in Deutschland entdeckt. Ich glaube, dass das viel verändert hat bei mir.

Zum Anderen ist das sicherlich die Frage nach Männlichkeit. Wenn ich auf Tracks wie „Männer“ toxische Männlichkeit behandle oder ich mich jetzt auf dem neuen Album bei „Claras Verhältnis“ frage, was eigentlich ein Mann in dieser Gesellschaft ist oder wie die Gesellschaft einen sehen möchte. Männlichkeit an sich ist ein sehr abstraktes Konstrukt und mir ist aufgefallen, dass jene die am besten zu wissen meinen, was Männlichkeit, sind meist nicht ganz so schlaue Typen.

Das dritte große Motiv ist Rap, was bei mir oft einhergeht mit Männlichkeit und der Kunstform an sich, die ich reflektiere.

Juse Ju – CLARAS VERHÄLTNIS

Wenn wir mal bei dem letzten großen Motiv bleiben, wie würdest du dich selbst in der Rap-Szene verorten?

Juse Ju: Ich teile die Rap-Szene gerne in vier Subkulturen auf. Da gibt es zum Einen den Straßen- und Gangster-Rap, der einen Großteil ausmacht. Dann gibt einen Bereich der Popmusik, die Rap ist. Damit meine ich z.B Casper, Marteria oder die Orsons. Also Künstler, die das Genre etwas überdehnen und sich nicht auf einen Stil festlegen. Und alle von den eben genannten Künstlern finde ich großartig. Die dritte Gruppe habe ich gerne als die „Trapkids“ bezeichnet. Leute wie LGoony, Haiyti oder Juicy Gay zähle ich dazu. Das hat sich meiner Ansicht nach aber erweitert um so Crews wie BHZ oder Rapkreation. Das ist für mich Street-Mucke aber kein Gangster-Shit. In die vierte Gruppe würde ich mich einschließen. Das sind die sogenannten „Indie-Rapper“. In der Szene wird zum Beispiel viel Wert über Lyrik gelegt und oftmals ist sie auch politisch sehr aufgeladen. Häufig ist der Sound noch sehr Boom-Bap beeinflusst. Dabei denk ich an so Leute wie Zugezogen Maskulin, Audio88 & Yassin oder die Antilopen Gang. Diese Leute kommen meist aus einem tradionellen Hip-Hop-Background und sie engagieren sich gesellschaftspolitisch. Das ist aber eine Spielerei, die ich eher für mich mache, ich will damit nicht behaupten, dass die Szene damit erschöpft sei.

Kranich Kick (Prod. by C.O.W.牛)

Auf dem Track „MTW Most Wanted“, wo du Mädness featurest baust du in der Hook auch die Zeile „Sei kein Mann, sei entspannt“ ein…

Juse Ju: Ja, diese Zeile hatte ich schon länger im Kopf. Das ist natürlich eine Anspielung auf alle Menschen die behaupten die Männlichkeit sei in Gefahr, weil Männer ja so verweichlicht seien. Auch im Rap gibt es solche Leute. Im Battle-Rap ist es ein gängiges Stilmittel anderen Rappern die Männlichkeit abzusprechen. Das trifft oft am Schlimmsten. Diese Aggressivität ist aber nur eine Form der Männlichkeit. In der Moderne ist diese archaische Form komplett nichtig. Glaubst du ein Bank-Chef würde sich nach dir umdrehen, wenn du ihn beleidigt hast und damit drohen dich zu boxen? Die machen sich doch nicht die Hände schmutzig. Das ist eine Form der Männlichkeit, die komplett ineffizient ist und dich nirgendwo hinbringt. Deshalb müssen wir mal darüber sprechen, was eigentlich hegemoniale Männlichkeit ist. Auch das was viele Rapper heutzutage verkörpern ist seit hunderten von Jahren komplett überholt. Die moderne Aggressivität des Mannes sieht ganz anders aus – sie wird aber nicht beschrieben oder kommuniziert.

Glaubst du Männlichkeit wird oft mit Macht gleichgesetzt?

Juse Ju: In erster Linie ist das ein Problem von Heranwachsenden. Dieses archaische ist eher etwas was du auf dem Pausenhof oder auf dem Fußballplatz einsetzt. Mit Bonzi Stolli habe ich auf dem „Massig Jiggs“ Bonus Album auch einen Song, der nennt sich „Kids“. Dort beschriebe ich auch, dass ich als Jugendlicher die Welt als sehr gewalttätig wahrgenommen habe. Ich glaube, dass das der Grund ist, warum gerade Gangster-Rap sehr gut ankommt bei jungen Leuten, weil man dort eben diese starken, sich im urbanen Dschungel durchsetzenden, harten Typen hat. Mit dieser Art Vorbild kann man in dem Alter etwas anfangen. Wenn man wiederum erwachsen ist und zwei Kinder hat fragt man sich: Was soll das? Rap ist Musik für die Jugend und in der Jugend spielt das Thema halt eine sehr große Rolle. Das ist also immer noch gleich, dass Männlichkeit Macht bedeutet. Dann stellt sich wieder die Frage: Was ist Macht? Körperliche Macht ist heutzutage nahezu irrelevant. Ich sags mal so: Durch ein Boxevent, verdient auch nicht der Boxer am Meisten.

Juse Ju – TNT (Prod. by C.O.W.牛)

Wenn wir uns mal den Battle-Rap anschauen, dann war es früher einer der schlimmsten Punches, wenn du jemandem seine Männlichkeit abgesprochen hast. Beispielsweise geschieht das oft dadurch, dass jemand als schwul bezeichnet wird, was im Battle-Rap als die ultimative Absprache von Männlichkeit dargestellt wird. Auf dem namensgebenden Track von deinem Album rappst du über genau diese Zeit. Findest du, dass sich dahingehend etwas geändert hat in der Szene?

Juse Ju: Die Battle-Rap-Szene ist genau wie die Gesellschaft diverser und weniger homophob geworden. Jetzt sieht man die Battles im Internet und wenn dann homophobes Zeug kommt sind die Leute schockiert. Doch im Vergleich zu den 2000ern ist das noch vergleichsweise harmlos. Heutzutage kannst du dem anderen MC sogar Homophobie vorwerfen. Früher hätte man niemals rappen können: Ich bin schwul und das ist gut so. Ich glaube die Battle-Rap-Szene entwickelt sich da parallel zur Gesellschaft weiter. Im Battle spiegelt sich aber genau die Art von Männlichkeit wider, die wir eben besprochen haben. Und wenn ich das so kritisiere heißt das auch nicht, dass ich nicht Teil dieser Denke oder dieser Sache bin. Ich hatte es ja auch nötig andere Leute auf Battle-Bühnen zu beschimpfen und zu zeigen, dass ich tough bin. Das ist so krass internalisiert.

Ich möchte das aber auch ausdrücklich nicht zu sehr verteufeln. So eine Competition hat ja auch einen produktiven Kern, der fernab von Sexismus und Homophobie liegen muss. Ich glaube, ich wäre nicht so weit gekommen hätte Rap mich nicht gelehrt, dass es Konkurrenz gibt. Insofern ist Rap ja wie Kapitalismus – da musst du dich durchsetzen.

Millennium ist ja ein Begriff der eine gewisse zeitliche Achse kennzeichnet. Bist du eher Team „Früher war alles besser“ oder „Die gute Zeit ist jetzt“?

Juse Ju: Man betrachtet die Vergangenheit immer positiver als sie war und geht mit dem „Jetzt“ kritischer um als man sollte. Insofern ist beides richtig und beides falsch. Meine Musik ist ja auch der Versuch mich mit der Vergangenheit zu versöhnen, naach dem Motto: Wir hatten ja gute Zeiten. Mit Songs mit „Millennium“, Sayonara oder „Model in Tokio“ möchte ich die guten Zeiten auch wieder aufleben lassen.

 

Foto: V. Raeter

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