Haiyti Sui Sui Artwork
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Haiyti auf der Überholspur: Sui Sui beschreibt das Leben am Abgrund

Haiyti macht was sie will und wirkt trotzdem nicht beliebig. Das neu erschienene Sui Sui ist ihr viertes Soloalbum, was bei mehr als zehn Projekten in unter vier Jahren, aber irgendwie auch keine Maßgabe ist. Zumindest keine, die für die Hamburger Trap-Queen relevant scheint. 15 Songs, produziert von Project X, einem fünf köpfigen Team, dem u.a. Haiyti selbst und einige Producer mit so viel Platin an der Wand angehören, dass Namedropping hier wohl überflüssig war.

[CN: Suizid*]

Haiyti macht was sie will: die Rapperin lässt ihre Kunstfigur auf weiten Teilen der Platte mit lieblicher Stimme über einen Soundteppich aus Afrobeats, Brasilianischen Funk, R&B und Drill singen. Was nach absoluter Beliebigkeit einer postmodernen Kunststudentin klingt, ist es aber nicht: eingefangen wird der wilde Mix vom Hauptthema des Albums, dem Blick auf die dunklen Stellen der Seele, das Leben am Abgrund und dem Wunsch nach der Flucht ins Nirgendwo. Der Sound der Beats wurde kurzer Hand auf düster gepitcht, damit er auch in die Trap passt.

Haiyti – La La Land (Musikvideo)

Die Hooks der Songs sind extrem eingängig. So auch die von La la land einem Lovesong zwischen Bonnie-und-Clyde-Ästhetik und dem Exit – raus aus dem, was man so gemeinhin Realität nennt. Was lyrisch auf den ersten Blick nach melodischem Nonsens klingen mag, ist beim näheren Hinschauen umso beeindruckender pointiert. Fluchtromantik, California Dreams und ein Drogentrip, der der letzte sein könnte. Willkommen in La la land, der Hauptstadt der Träumer. Einige Tracks tragen bereits im Titel den Namen der perfekten Location für’s innere Musikvideo mit Schwerpunkt Exzess und Überfluss: Toulouse, Paname (Paris) und auch La la land (Los Angeles). So richtig düster wird es dann auf den letzten Songs der Platte SR&Q, Drogenfilm und Audrey. Ein dunkler Motivmix aus Einsamkeit in mitten der Partymeile, nächtlichen Drogentrips ohne Ende und dem Wunsch nach dem Ausbruch.

Ich fahre ins nichts, denn das Navi verspricht sich, 
Gedanken vergehen, mir ist alles zu viel, fahr das Boot und die Havarie 
und ich falle sehr tief und ich kann nichts mehr sehen, in meinem Kopf eine Artillerie, 
… werf mich vor den Money Train, heute wird kein Sunny Day, 
um mich rum alle weg, sie sagen ich hätte sie verletzt. (Audrey)

Paname (Musikvideo)

Die Musik der Wahl-Berlinerin ist so zwiespältig wie der Begriff Trap selbst: irgendwo zwischen dem Glamour-Leben eines Rap-Stars á la Money Boy und den kalten, dunklen Ecken der US-amerikanischen Drogenschauplätze. Dreampop x Gangsta-Rap. Haiyti will am liebsten alles sein und doch der Kunstfigur, die sie ist treu bleiben. Vielleicht erfüllt ihr das Dark-Pop-Album Sui Sui den Traum vom Exit – raus aus dem Szenenkünstlerinnen-Dasein hin zur Mainstream-Rapperin.

 

Foto: „Sui Sui“-Albumcover

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